Inklusion

 

Mittenmang aufm Meer

Es ist ein Sonntagmittag Anfang Herbst. Grauer Himmel und Nieselregen. Es wird langsam kälter. Aber Herbstanfang bedeutet ordentlich Wind. Und den braucht man auch, wenn man auf der Kieler Förde auf einen Segeltörn eingeladen worden ist. Von Thomas Preuhsler. Ein studierter Nautiker, der für viele Jahre auf den Weltmeeren unterwegs war. Ein richtiger Seemann.

 

Thomas hat mit seinem Kumpel Eike Ketzler 2014 den Verein „Meer bewegen e.V.– Die Inklusionspiraten“ ins Leben gerufen. Die beiden sind früher hauptberuflich zur See gefahren. Oft waren sie monatelang auf großen Containerschiffen unterwegs und da war nebenbei auch noch sehr viel Zeit zum Reden. „Da kommt man auf Ideen …“, erzählt Thomas.

 

Barrierefreiheit voraus!

 

Wer die Piraten sein sollen, auf die der Vereinsname hinweist, meint man zu erahnen, als wir Claudia kennenlernen. Wir sind auf der Kieler Förde unterwegs. Lange herrschte Flaute, jetzt kommt endlich Wind auf. „DAS HIER WIRD WAS GANZ GROßES!“, ruft Claudia energisch gegen den Wind, und zwar so, dass es auch die Spaziergänger an der Küste noch hören könnten. Claudia segelt heute zusammen mit ihrem Ehemann Andreas und die beiden haben sichtlich Spaß daran. Doch sie haben dieses Hobby erst letztes Jahr wieder aufgenommen, nachdem sie sehr lange darauf verzichten mussten. Vor ein paar Jahren war Andreas nämlich beim Golfen ohnmächtig geworden. Wie sich herausstellte, hatte er ein lebensgefährliches Aneurysma. Mit den erheblichen körperlichen Einschränkungen, die oft die Folge eines Aneurysmas sind, war Segeln dann erst einmal nicht mehr denkbar. Andreas musste seine motorischen Fähigkeiten wieder neu erlernen. Und das braucht Zeit und Geduld.

 

Nun aber ist er bereit, es mit dem Segeln aufzunehmen. Wie Claudia dann an Land erklärt, sei sie so gut drauf, weil sie erstens hier mit ihrem Mann partnerschaftlich Sport betreiben kann und zweitens auch, weil sie im Verein und dem inklusiven Segeln insgesamt eine gute Sache sehe und hier unterstützen möchte. Beispielsweise engagiert sie sich für die Organisation des Venture Cups, der eigens vom Verein ins Leben gerufenen Regatta für Segler*innen mit und ohne Behinderung, die dieses Jahr zum ersten Mal stattfinden soll. Ein paar schöne Trikots für das Event hat sie schon dabei. Wie man später beim traditionellen, gemeinschaftlichen Grillen nach dem Segeln feststellen kann, trägt hier so ziemlich jedes Mitglied des Vereins dazu bei, den Verein voran zu bringen und noch mehr Menschen zu erreichen. Der eine hat Erfahrung mit Reha-Maßnahmen und Krankenkassen, die andere kennt sich gut mit Förderanträgen aus. Also eigentlich sind alle Piratinnen und Piraten. Neben Claudia und ihrem Mann Andreas folgen sie alle einem Ziel: Gemeinsam Inklusion (zurück) erobern, für sich, ihre Liebsten und alle anderen, denen Segeln noch versagt bleibt. Das mag an dieser Stelle etwas gefühlsselig klingen, aber hier geht es wirklich um etwas. Und Thomas Preuhsler und Eike Ketzler schaffen dafür das notwendige Gerüst: Den Verein und eine Vision.

„Wir sehnten uns nach einem anderen Zusammenleben, das auf Inklusion und Wärme setzt.“

Sport ohne Kompromisse

 

Direkt in Berührung mit behinderten und ausgegrenzten Menschen sei Thomas in der Vergangenheit nicht gekommen, erzählt er. „Ich war nie einer der ‚Betroffenen‘, die aus ihrer eigenen Situation heraus gehandelt haben, also etwa einen behinderten Verwandten pflegen müssen oder ähnliches und deshalb ein Projekt initiiert haben. Aber während meiner Zeit auf der See mit Eike zusammen, haben wir für uns erkannt, dass wir gerne in Zukunft etwas Sinnvolles und Empathisches für Menschen unternehmen wollen.“ Denn so abenteuerlich die Seefahrt sein kann, berichtet Thomas, soziale Isolation und Kälte gehören leider auch dazu. „Wenn du monatelang auf einem Schiff bist, dann sind dort nicht nur Menschen, mit denen du gut klarkommst oder mit denen zu dich identifizieren kannst. Oft wird man in der sehr männlich dominierten Besatzung mit Rassismus und Sexismus oder Nationalstolz konfrontiert.“ Thomas und Eike distanzierten sich ganz klar davon, was sie miteinander verband. „Das sind nicht unserer Werte. Wir sehnten uns nach einem anderen Zusammenleben, das auf Inklusion und Wärme setzt. Wie wir genau auf Behindertensport gekommen sind kann ich dir gar nicht mehr so genau erklären.“

 

Als Thomas‘ Mutter stirbt, geht er wieder an Land und verabschiedet sich von der klassischen Seefahrt. Er ist zunächst selbstständiger Supercargo-Manager und damit sehr erfolgreich und finanziell unabhängig. Aber auch das sollte nicht für immer so weiter gehen, denn da war ja nun mit Eike eine Idee gepflanzt worden, die verwirklicht werden sollte.

 

Also machten die beiden irgendwann Nägel mit Köpfen und bauten parallel zu ihren Jobs den Verein auf. Zunächst kauften sie ein erstes Segelboot vom Typ „RS Venture Connect“, ein Segelboottyp, der mit Hilfe eines spezialangefertigten Steuers, auch von Menschen mit Behinderung aus Sitzen heraus gesteuert werden kann. Alle Leinen und Strecker laufen zentral zusammen, sodass es diese Spezialanfertigung möglich macht, zu segeln, ohne die Sitze zu verlassen. Zudem ist es durch einen schweren Hubkiel, dem Rückgrat eines Schiffes und den schnell zu verkleinernden Segeln sehr sicher gegen ein mögliches Kentern gewappnet. „Und wenn es mit dem Verein nicht funktioniert hätte, dann würden wir halt einfach weiterhin ein Segelboot für uns haben, das wir leicht wieder hätten umbauen können“, erklärt Thomas. Das Risiko war also relativ gering. „Dann haben wir einen Verein gegründet. Ein paar Freunde und Verwandte sprichwörtlich mit ins Boot geholt und die Idee in eine Rechtsform gegossen.“

Plietsche Unternehmer

 

Thomas kann so ziemlich alles zum Thema Verein erklären, nicht zuletzt auch, weil seine Frau, eine Rechtanwältin, ihm, dem Hausmann und Vereinsgründer, zur Seite steht. Wenn er nicht gerade auf Rettungsmission im Mittelmeer ist (wie an diesem Tag), ist Eike Dozent an der Seemannsschule und unterrichtet angehende Seeleute vor allem in der praktischen Ausbildung und ist somit auch sehr gut vernetzt und sein Knowhow immer up to date in Sachen Seefahrt.

 

Der noch recht junge Verein der beiden Gründer zählt heute um die 30 Mitglieder; Förder- wie auch Vereinsmitgliedschaften. Der Verein zahlt Thomas in den Sommermonaten 450€ im Monat aus für etwa 2-3 Stunden Arbeit pro Tag, die er in das Projekt investiert. Natürlich gäbe es auch Zeiten in denen er weit mehr als diese Stundenzahl für den Verein aufbringe, aber das sei es wert. Es bleibt eine ehrenamtliche Tätigkeit.

 

Um den bürokratischen Aufwand möglichst zu minimieren, haben die Gründer eine sehr schlanke Vereinsordnung aufgesetzt, sodass Finanz-, Vorstands- und Personalentscheidungen schnell und unkompliziert getroffen werden können. Sehr vorteilhaft sei laut Thomas die Mitgliedschaft beim Landessportverband. Über ihn ist der Verein versichert, kann auf Netzwerke zugreifen und sich auf Förderungen, auch aus Landesmitteln, bewerben. Derzeit finanziert sich der Verein hauptsächlich durch Spenden und die Einnahmen aus dem Segelunterricht. Der soll qualitativ hochwertig sein und die Segellehrer*innen bekommen laut Thomas einen guten Stundenlohn, denn auch sie sollen wertgeschätzt werden. Um die Projekte jährlich durchzuführen benötigt Meer bewegen e.V. etwa 6.000 Euro im Jahr. „Mit 6.000 Euro bekommen wir ein sehr rundes Programm über die Bühne ohne Investitionen. Das sind reine Trainergehälter, Unterhaltung der Boote und Material. Was darüber hinausgeht also Expansion und Fortführung der Vision, Investition in Infrastruktur ist damit nicht abgedeckt“, erklärt Thomas. Natürlich soll Geld zu keiner Barriere werden. Sowohl für die Umsetzung der Vision des Vereins, also auch für die Segelschüler*innen. „Wir bieten einmal im Monat das Sonntagssegeln an, das für jeden kostenlos ist. Unsere Mitgliedsbeiträge sind außerdem sehr flexibel.“ Die derzeit 30 Mitglieder des Vereins können die Finanzierung noch nicht allein stemmen und deshalb ist der Verein auf Drittmittel angewiesen – man darf nicht vergessen, dass Segeln ein verhältnismäßig teurer Sport ist. Um für die nächste Saison gewappnet zu sein und den Verein weiterzuentwickeln sucht Thomas vor allem verlässliche Sponsoren, die Lust haben, inklusives Segeln zu fördern und an die Wirksamkeit des Projekts glauben. „Auf den Booten haben wir noch genügend Fläche für Aufkleber und Logos!“, betont Thomas mit einem Augenzwinkern.

 

Thomas hat viele spannende Ideen, um den Verein finanziell gut aufzustellen. Durch Drittmittel, durch Querfinanzierung, durch unternehmerisches Geschick. Man merkt, wie sehr er für seine sozialen Projekte brennt, wenn man ihm dabei lauscht, wie er laut denkend Zukunftspläne schmiedet. „Wir könnten ein ‚Piraten-Chili‘ kreieren, es im Glasbehältnis verkaufen und der Gewinn fließt in den Verein,“ schlägt er abends beim Grillen vor. Seemannsgarn ist das ganz und gar nicht, aber die Idee klingt doch noch etwas nach Zukunftsmusik. Allerdings würde die Geschichte, die man zur sozialen-ökologischen Tofu-Chili-Kreation erzählen könnte, einigen potenziellen Kunden sicher gut gefallen.

Hinterm Horizont geht’s weiter

 

Wo wir beim Thema Zukunft sind. Nach dem Besuch in Kiel, berichtet Thomas am Telefon darüber, wie der Venture Cup lief. Die Regatta fand am Wittensee statt, dem Hauptsegelrevier des Vereins, der etwa 30 Minuten von Kiel entfernt liegt. Man hört einen glücklichen, aber auch erleichterten Thomas am Telefon. „Der Venture Cup war super. Wir waren alle ziemlich kaputt und fertig danach, aber auch ziemlich geflasht! Es war sehr viel Wind, aber wir haben es geschafft und durchgezogen und alle Athleten haben mitgemacht und ja – es hat alles funktioniert! 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren dabei, mit verschiedensten Behinderungen und auch ohne Behinderung.“ Und auch der Landtagspräsident war auch vor Ort und hat seinen Wanderpokal gestiftet. „Das ist ein gestifteter Teller, das hat der Veranstaltung noch einmal einen ganz besonderen Charakter verliehen und das ist natürlich auch was ganz Schönes. Wir haben jetzt immer die Möglichkeit uns in Erinnerung zu rufen. Wir haben jetzt einen Wiedererkennungswert.“ Um seine Einzigartigkeit hat sich der Verein wohl vor allem auch durch die Menschen, die ihn groß machen wollen, verdient gemacht. So viel ist jetzt sicher.

 

Die Segel-Saison von Meer bewegen e.V. – Die Inklusionspiraten beginnt mit dem Ansegeln am 1. Mai 2020.

 

Der Venture Cup wird im nächsten Jahr im Sommer wieder stattfinden. Die Förderantrage für weitere Segelboote stehen in den Startlöchern! Seglerinnen und Segler aus ganz Deutschland sind herzlich Willkommen.

Autor

Jennifer Wilke

Projekt

Meer bewegen e.V.

Ort: Borgstedt

Thema: Inklusion

Gründung: 2014

Ansprechpartner:

Eike Ketzler (1. Vorsitzender)

Thomas Preuhsler (2. Vorsitzender)

Website

meer-bewegen.de

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