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Barrieren abbauen. Organisierte Sport- und Bewegungsangebote für Menschen in finanzieller Armut ermöglichen.

Es gibt Tage, bei denen man erst im Rückblick merkt, dass sie dem Leben eine entscheidende Wendung gegeben haben. So ähnlich wird es vielleicht Lukas Oettle gehen: Als Student der Sportwissenschaften besuchte Lukas ein Seminar, in dem es unter anderem darum ging, für welche Menschen Sport besonders hilfreich sein kann – und er war erstaunt, wie wenige Angebote es für Menschen gab, die von finanzieller Armut betroffen sind. Damit war die Idee zu beneFit geboren, einem zielgruppenangepassten Sport- und Bewegungsangebot für Menschen in finanzieller Armut – als gesundheitsfördernde Maßnahme, die durch einen Abbau von Barrieren zum organisierten Sport die soziale Reintegration fördern soll.

Gesagt, getan

Die Entscheidung stand – und dann ging eigentlich alles sehr schnell, denn auch Fördergeldgebende waren bald überzeugt von dem Projekt: beneFit erhielt eine Grundförderung der Freiburger Bürgerstiftung und konnte einige Kurse im Rahmen des Projekts „Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung in der kommunalen Lebenswelt“ anbieten, das durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mit Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des GKV- Bündnisses für Gesundheit gefördert wird.

So startete beneFit im Juni 2021 mit vier Kursen – mitten in der Pandemie – und erhielt auch gleich Verstärkung: Bereits in einer frühen Phase stieg Theresa Wießmann mit ein, die ebenso wie Lukas am Sportinstitut in Freiburg studiert und ihre Masterarbeit über beneFit geschrieben hat. Von da an konnte das Projekt mit einer neuen Intensität und Qualität betrieben werden.

Andere Studierende sowie Freund*innen von Theresa und Lukas helfen außerdem als Übungsleiter*innen in den Kursen. Zu Beginn aber war echter Sportsgeist gefragt: Für die Organisator*innen, Übungsleiter*innen und auch Teilnehmenden startete mit dem Projekt ein ganz eigener Hürdenlauf.

1. Den Anfang finden: Schranken im Kopf

Im ersten Schritt hieß es, die Zielgruppe zu finden und zu überzeugen. Gar nicht so einfach, denn die erste Hürde lag allein darin, Menschen, die lange nicht oder vielleicht noch nie Sport gemacht haben, die körperlich oder psychisch beeinträchtigt sind, davon zu überzeugen,

  • dass dies nun die richtige Wahl ist,
  • dass es möglich und völlig ok ist, auch mit kleinen Schritten anzufangen,
  • dass sie niemand schräg ansehen wird,
  • und dass es guttun wird.

Eine naheliegende Anlaufstelle waren offizielle Einrichtungen für Menschen in Armut, wie zum Beispiel das Ferdinand-Weiß-Haus oder die Pflasterstub´, beides Tagesstätten für wohnungslose Menschen, in denen das Team Flyer verteilte, mit Besucher*innen und Mitarbeiter*innen sprach und mittlerweile Probetrainings anbietet, um Ängste und Bedenken abzubauen. Denn erleben ist immer besser, als nur davon zu hören – gerade wenn es um Bewegung geht. Nach und nach gewann beneFit so die ersten Teilnehmenden und inzwischen hat sich ein fester Kern etabliert, der regelmäßig dabei ist und sich auch immer wieder an neue Sportarten traut.

2. Sich sicher fühlen: Warum kein „normaler“ Verein?

Die Barrieren, die Betroffene davon abhalten, in einen regulären Sportverein zu gehen, sind eher unterschwellig und lassen sich nicht nur am fehlenden Geld für den Mitgliedsbeitrag festmachen – dafür gäbe es ja in der Regel auch Förderungen. Es ist eher eine Verunsicherung, wie die beneFit-Teilnehmer*innen bestätigen: Sie fühlen sich nicht zugehörig, fallen schon optisch auf, es gibt Getuschel. Hinzu kommt der gefühlte Leistungsdruck, den man (noch) nicht erfüllen kann und es fehlt im Vereinsbetrieb häufig das Verständnis für die besonderen Bedürfnisse aufgrund gesundheitlicher oder psychischer Einschränkungen, zum Beispiel nach einer simplen Pause zwischendurch.

3. Dranbleiben: Einmal Kaffee und Kuchen bitte!

Auch das Durchhaltevermögen ist ein Thema. Vielen fällt es nach wie vor schwer, dauerhaft dabei zu bleiben. Um aber auch für die Unentschlossenen und Verzagten einen Anreiz zu bieten, hatte das beneFit-Team eine ebenso einfache wie geniale Idee: In Kooperation mit einem Café gab es Sammelkarten. Wer an neun von zwölf Kursterminen teilgenommen hatte, bekam einen Gutschein für Kaffee und Kuchen – den man gut gemeinsam einlösen kann. Ein doppelter Gewinn, denn die gesundheitsfördernde Bewegung ermöglicht gleichzeitig soziale Teilhabe. Und genau darum geht es eben auch.

„Wir müssen um die Ecke denken und Vernetzung über verschiedene Ebenen fördern, um nach und nach immer mehr Barrieren abzubauen. Ausdauer und Beweglichkeit sind eben nicht nur im Sport selbst entscheidend.“

4. Ausstattung: Was ziehe ich an?

Was ziehe ich an – das ist in diesem Fall keine Frage des Styles, sondern ganz und gar wörtlich zu nehmen und eine nächste Hürde für Menschen in Armut. Es ist schlichtweg kein Geld für Sportbekleidung, -schuhe und -equipment da. Wie können also die Begleitkosten der Kurse gedeckt werden? Wie für so viele Projekte sind Spenden der Schlüssel und so sind Sportgeräte, Sportkleidung oder Verpflegung immer gern gesehen. Durch zahlreiche Spenden von Freiburger Bürger*innen und Organisationen wie Trikot für die Welt e.V. kann beneFit die Kursteilnehmenden ausstatten. Auch der SC Freiburg hat sich schon beteiligt – zu Weihnachten gab es eine sportliche Ausstattung für jeden Teilnehmer und jede Teilnehmerin.

Nach und nach wurde so und werden noch auf vielfältige Weise Barriere um Barriere abgebaut oder zumindest verringert.

Foto: beneFit e.V.

Zwischenbilanz: Entwicklung und Learning

  • Nachdem am ersten Kurstermin gleich 17 Leute teilnahmen, besteht heute ein harter Kern von etwa 30 Personen, die regelmäßig zu den Angeboten kommen: Hier ist eine Gemeinschaft entstanden, in der viele Faktoren zusammenwirken: Sozialkontakte, Bewegung, Austausch, Zutrauen.
  • Seit dem Beginn der Sport- und Bewegungskurse Mitte 2021 nahmen bereits etwa 70 Personen an einem der Angebote teil.
  • Die Mehrzahl der Teilnehmenden ist eher 50+ und es werden vermehrt Frauen erreicht. In Zukunft sollen auch mehr jüngere Menschen gewonnen werden.
  • Es hat sich herausgestellt, dass aktivierende Angebote und Gruppensport besser ankommen (im Gegensatz zu Einzelsportarten wie zum Beispiel Yoga) wegen der entstehenden Interaktionsmöglichkeiten.
  • Nach und nach wurde so und werden noch auf vielfältige Weise Barriere um Barriere abgebaut oder zumindest verringert.

Definitiv eine Langstrecke

Perspektivisch sollen noch viel mehr Menschen durch beneFit in Bewegung kommen, denn Sport ist mehr als reine Leibesertüchtigung: Sport bedeutet soziale Teilhabe und Vernetzung, er gibt Selbstbewusstsein und ein Bewusstsein für Werte im Miteinander.

beneFit legt Wert auf eine partizipative Gestaltung der Kurse. Daher holen die Kursleiter*innen regelmäßig Feedback ein, um Wünsche und Potenziale zu erkennen und das Angebot noch besser auf die Interessen und Bedürfnisse ihrer Zielgruppe auszurichten.

„Sonntags gibt es beispielsweise Schnupperkurse, in denen wir verschiedene Sportarten vorstellen. Das geht dann von Fitness-Boxen bis zu Parkour (was übrigens sehr gut ankommt)“, sagt Lukas. „Aber wir wollen auch wachsen und unser Angebot ausweiten, um die Distanz zwischen unseren Teilnehmenden und dem Rest der Gesellschaft weiter zu verringern. Deswegen gibt es seit diesem Jahr zusätzliche Angebote wie zum Beispiel gemeinsame Wanderungen und Radtouren.“ Für die Radtouren kooperiert beneFit mit dem ebenfalls in Freiburg ansässigen Verein Bike Bridge.

Wie es langfristig für beneFit weitergeht, erarbeiten Theresa und Lukas aktuell im Rahmen des Sozialstarter-Programms des Social Innovation Labs. Wird es auch in anderen Regionen bald beneFit-Angebote geben? Ein Geschäftsmodell als Sozialunternehmen? Vieles ist denkbar, denn beneFit hat nicht nur menschlich viel erreicht, sondern auch bewiesen, dass man mit Ausdauer und Ideenreichtum viel bewegen kann, solange man selbst beweglich bleibt.

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